Auszug aus dem neuen Buch: Lothar Scholz: Lanzarote - Lava, Licht und Farben, 2019

Kapitel 14: Eine überraschend abwechslungsreiche Küste, S. 148 - 154

 

Atlantida del Sol

Je näher ich kam, desto gespenstischer wurde der Anblick: Eine Ecke des rechten Komplexes war ausgebrannt und zusammengestürzt. Schwarz verkohlte Wände, bizarr in die Luft ragende Eisen- und Betonteile, Schutt- und Geröllhalden am Boden vermittelten den Eindruck, als ob hier eine Bombe eingeschlagen hätte. Das Gebäudewrack war provisorisch mit einem grobmaschigen Eisengitter umzäunt, aber in keiner Form gegen Betreten gesichert. Auch kein Schild warnte davor, dass hier höchste Einsturzgefahr herrschte.

 Im Zentrum der Hotelruine machte ich eine kurze Pause. Ich stand jetzt wohl an der Stelle, an der die Swimmingpoollandschaft geplant war, vielleicht dort, wo die Poolbar einmal hätte stehen sollen. Ich blickte in die rechteckigen offenen Kästen, die Zimmer, Appartements, Suiten oder Studios hätten werden sollen. Einige von ihnen waren mit Graffiti verschmiert, andere sehr notdürftig mit Brettern, Türen oder einer kleinen Mauer verrammelt, manche auch mit großen Planen zugehängt. Hier hatten sich zumindest zeitweise Menschen häuslich eingerichtet. Davon zeugten außerdem die geschlossenen, verbretterten Eingänge und Fenster sowie Sitzbänke, Stühle, Tische und verrostete und ausgemusterte Sonnenliegen, die davor standen. Im ersten Stock des linken Flügels war sogar die Trennwand zwischen den Zimmern herausgeschlagen, so dass zwei nebeneinanderliegende „Zimmer“ zusammengenommen ein großes bildeten. Das war dann wohl ein „Doppelzimmer“. Eine Plastik-Sonnenbank auf der nun vergrößerten Terrasse sowie ein Tisch und ein weiterer Sitzplatz füllten den größeren Balkon aus. Ich zählte 18 halbwegs abgeschlossene „Wohneinheiten“.

Besonders nachdenklich machte mich der Anblick eines bunten Dreirades, mit dem Kleinkinder lernen mobil zu werden. Also lebten hier auch Kinder oder haben gewohnt. Was ein erschreckender Gedanke!

Die ganze Anlage war so trostlos und deprimierend, dass niemand aus der Gruppe, die kurz nach mir eintraf, zunächst etwas sagte. 

Reiner schüttelte nur den Kopf und meinte dann:

„Das ist ja unglaublich. Wie kommt denn so etwas zustande?“

Später recherchierte ich und erfuhr:

In den siebziger Jahren wurde hier mit dem Projekt Hotel Atlantida del Sol begonnen. Ein Generalunternehmer hatte die Architektur und den Bau in Auftrag gegeben. Er verkaufte Appartements als Anteile an Investoren, als das Gebäude im Rohbau stand. Interessenten wurden teilweise in einem Hubschrauber zu der Anlage geflogen und nach der Besichtigung wurde in bar gezahlt. Das Versprechen von Megarenditen machte die Anleger blind und gierig. Mit dem Geld setzte sich der Investor nach Südamerika ab. Die ganze Aktion muss damals ziemlich spektakulär gewesen sein. Auch an verschiedenen anderen Orten der Insel hat es solche Projekte mit einem solchen Ende gegeben.

*

Der SPIEGEL schrieb damals:

„Wackelnde Insel

Lanzarote bleibt eine ‚Insel der Ruhe’: Touristische Großprojekte sind gescheitert, übrig bleiben Hotelruinen.

Zwei Katastrophen erlebte die Insel:

1730 verwandelten heftige Vulkanausbrüche weite Teile in ein bizarres Mondgebirge aus Lava. 240 Jahre später verwüstete der Mensch, was die Natur verschont hatte: Immobilienspekulanten und Baulöwen machten das Eiland zur größten Neubau-Ruine des Atlantiks.

Lanzarote, die kleinste von Spaniens populären Kanarischen Inseln, war vom Tourismus erst entdeckt worden, als auf Gran Canaria und Teneriffa der Bauboom schon heißlief. Noch Ende der 60er Jahre gab es nur drei Hotels auf dem vulkanischen Eiland, und die wurden unter besonders ruhebedürftigen Urlaubern als Geheimtip gehandelt.

Doch mit der Ruhe war es vorbei, als potente Steuerflüchtige und Abschreibungsjongleure die Strände in Besitz nahmen. Schweden, Dänen und vor allem Deutsche kauften auf, was zu kriegen war, holten finanzkräftige Landsleute in Charterflugzeugen an die Playa Grande und Playa Blanca, um ihnen Anteile an ihren touristischen Zukunftsprojekten zu verkaufen.

Das Geschäft florierte: Entzückt von Klima und Landschaft der Insel, angelockt auch von der Aussicht auf 12 Prozent Rendite, zahlten Zahnärzte und Beamte, aber auch Show-Leute wie die Jacob-Sisters und Intendant Hess vom Hessischen Rundfunk Millionen in die Kassen der Bauherren.

‚Die haben hier gebaut‘, erzählt der deutsche Caféhausbesitzer Sascha in Puerto del Carmen, ‚daß die Insel wackelte.‘ Allein der Frankfurter Spediteur Erich Becker plante eine Feriensiedlung für 15 000 Urlauber, fast das Zehnfache der gegenwärtigen Bettenkapazität auf Lanzarote. Doch als sein Superhotel „El Náutico“ (4000 Betten) halb fertig war, verschwand Becker mit den meisten seiner Mitarbeiter und ließ seinen über 200 geprellten Kommanditisten außer einem großen Loch in der Kasse nur eine stattliche Ruine zurück.“

„Ich habe mich hier auch eingekauft“, erzählte mir später Marlene, eine Deutsche, die die Winter über auf Lanzarote verbringt. Sie bestätigte den SPIEGEL-Bericht.

„Es gab eine Informationsveranstaltung in Puerto del Carmen, die von vielen Leuten, vor allem von Deutschen, Engländern und Skandinaviern, aber auch Spaniern, besucht wurde. Man hat uns mit einem Diaprojektor das Gelände und die Pläne gezeigt, es gab einen bunten Prospekt, etwas zu trinken und zu knabbern. Uns wurde das Blaue vom Himmel versprochen. Die allermeisten wollten aus Renditegründen investieren, da waren schon zweistellige Zahlen im Gespräch, wir wollten eher ein Appartement für den Eigenbedarf kaufen, für die Zeit der Rente. Wir haben eine Urkunde unterzeichnet, eine Anzahlung in bar geleistet“, sie stockte, „ich glaube es waren 20 000 DM. Viele haben mit Schwarzgeld bezahlt. Dann haben wir noch einmal eine Mitteilung bekommen über den Baufortschritt und dann lange nichts mehr von der Firma gehört. 

Ich weiß auch, dass die Firma Interessenten mit Hubschraubern zum Atlandida del Sol geflogen hat und vor Ort Anteile verkauft hat. Jedenfalls irgendwann, vielleicht ein Jahr später, gab es keine Informationen mehr und wir wussten, die sind, nachdem sie den Rohbau erstellt hatten, mit dem Geld abgehauen.“

 „Wir haben’s verschmerzt, wir überwintern seitdem jedes Jahr in einer schönen Anlage in Puerto del Carmen, aber theoretisch gehört uns noch ein kleiner Anteil an dem Projekt.“

Ihre Freundin Elisabeth, die mehrere Apartments gekauft hatte, schickte mir während meiner Recherchen eine Bebauungsskizze für dieses Areal. Mir verschlug es den Atem, als ich die immensen Ausmaße dieser Anlage sah.

„Das sollte ein riesiges Golfresort geben“, erinnerte sich Elisabeth. „Unzählige Bungalows und Appartments, mehrere Hotels und eben Golfplätze waren dort geplant. Wir haben später erfahren, dass, nachdem mit dem Bau des zentralen Hotels begonnen worden war, sich herausstellte, dass die Landschaftsgestaltung und der Anbau von Gras auf dem kargen Gelände völlig unmöglich waren.“

„Ich habe auch die Version gehört“, fuhr sie fort, „dass das Hotel ohne Baugenehmigung gebaut wurde und der Bauherr eine Strafe von vielen Millionen Peseten bezahlen musste, um mit dem Bau fortzufahren. Deshalb ist er abgehauen. Ein anderer sagte, dass zwei Partner beteiligt waren, von denen einer mit dem größten Teil des Kapitals verschwand und den anderen im Stich ließ.“

So ergibt sich heute das Situation, dass zwar eine Gemeinschaft von Eigentümern besteht, die Teile des Anwesens besitzen, weil sie sich teilweise legal eingekauft haben, aber letztendlich bestehen keine Möglichkeiten das Hotel halbwegs fertigzustellen: es müssten erhebliche finanzielle Mittel aufgebracht werden. Bei dem jetzigen Zustand dieses Ruinenkomplexes und des Fehlens jeglicher Infrastruktur (Straßen, elektrische Versorgung, Wasseranschluss, etc.) wird das niemand tun. Entscheidender aber wird sein, dass keine Baugenehmigungen vorliegen oder erwirkt werden können. Diese soll ein Immobilienmakler in den 80er Jahren beantragt haben, bekam sie aber nicht wegen zu hoher Brandung, der Gefahr der Unterspülung des Strandes und damit zu hoher Risiken für das Baden im Meer. 

Da ein Weiterbau also aussichtslos ist, bliebe als einzige Alternative der Abriss. Dazu müssten die Eigentümer enteignet werden, was in Spanien nicht ganz einfach, aber unter bestimmten Umständen möglich ist. Das größte Hindernis dafür sind aber auch hier die immensen Kosten für den Abriss und den Abtransport des Schuttes. Da die Kommunen auch auf Lanzarote unter chronisch leeren Haushaltskassen leiden, wird dafür kein Geld zur Verfügung stehen.

Also wird sich an dieser trostlosen Immobilienschande nichts ändern. Die gespenstische Ruine wird noch eine kleine Ewigkeit hier vor sich hin verrotten.

Ob man nun froh darüber sein soll, dass Obdachlose, Aussteiger, Nichtsesshafte hier zeitweilig Unterkunft finden – darüber bin ich mir nicht sicher. Einerseits finden diese Menschen ein Dach über dem Kopf, führen also diese unvollendete Immobilienanlage seiner ursprünglichen Bestimmung zu - wenn auch völlig anders, als gedacht - , andererseits sind die Gefahren durch Einsturz und Bauschäden, hygienische Bedingungen, Ghettobildung, Fehlen jeglicher infrastruktureller und rechtsstaatlicher Bedingungen, unübersehbar. Auf Dauer hilft diesen Menschen diese Bleibemöglichkeit auch nicht.

Froh bin ich allerdings darüber, dass dieses schreckliche Zeugnis für die kriminellen Machenschaften einer Baumafia so weit abseits liegt, weit weg von den Verkehrs- und Wanderwegen der Menschen, die auf der Insel Erholung und Genuss suchen. Man könnte natürlich auch auf den Gedanken kommen, diese Ruine als Abschreckung und Mahnmal den Touristen bewusst zugänglich zu machen. Aber ob das irgendwelche Einsichten bewirken würde, wage ich doch sehr zu bezweifeln.

 

César Manrique: Lanzarote wird zerstört

Die ganze Anlage erschien mir wie ein verrottetes Skelett, das mit einem stummen Aufschrei diesen kriminellen Immobilienwahnsinn raffgieriger Geschäftsleute anklagt. Wie offene, aufgeplatzte Wunden dokumentierte dieser mahnende Schandfleck den Sündenfall einer wirtschaftlichen Entwicklung, die César Manrique in seinen letzten Jahren mit deutlichen Worten gegeißelt hat.

In einem SPIEGEL-Interview am 21.03.1988, überschrieben mit: „Ein ganzes Volk wird kulturell erledigt“ sagte er:

„MANRIQUE: Raffgierige Spekulanten und kurzsichtige Politiker sind dabei, die Insel zu zerstören. Sie haben nichts begriffen, nichts dazugelernt. Sie vernichten ein Kleinod, das der ganzen Menschheit gehört. …Wenn Lanzarote weiter in dem Tempo zerstört wird wie in den letzten drei, vier Jahren, dann verschwinde ich, und mit mir viele Menschen. Wenn die Insel kaputtgeht, gehen auch wir selbst kaputt, unsere Identität, unser Leben, unsere Kultur werden von einer Handvoll geldgieriger Leute vernichtet. Die wollen ganz schnell Millionäre auf unsere Kosten werden. Sie betrügen uns um unsere Arbeit, sie profitieren von unserem Prestige. Es macht mich so wütend! … 

Ja, Lanzarote stirbt, wenn die Entwicklung so weitergeht wie in den vergangenen zwei, drei Jahren. Ich hatte eine Vision, ich habe hier eine Utopie verwirklichen wollen. Die natürliche Schönheit dieser Vulkaninsel sollte eine perfekte Symbiose eingehen mit den Schöpfungen der Menschen, mit der Kunst, mit der Architektur. Wir hatten es fast geschafft, und jetzt kommen diese Geier, diese Spekulanten ohne jede Moral. Sie wollen uns alles stehlen, sie haben nur das Ziel, ganz schnell reich zu werden. Sie bauen uns hier billige Massenbungalows hin, miese Hotels und Appartementhäuser, deren Wände zum Teil aus Pappe und Draht bestehen. Sie verschandeln die Landschaft, zerstören die Dörfer. Das ist ein Verbrechen, so als ob eine internationale Mafia die Niagarafälle einbetoniert oder das Prado-Museum in Madrid ausplündert.

SPIEGEL: Wer sind denn die Verbrecher, die Geier, die sich auf die Insel stürzen?

MANRIQUE: Das ist eine außergewöhnlich bunte Sammlung von Spitzbuben, Spekulanten aus Spanien, von den Kanarischen Inseln, aus dem Ausland. Doch die Schlimmsten, die letztlich verantwortlich sind für die barbarischen Tourismus-Projekte der jüngsten Zeit, sind einige Lokalpolitiker, Leute in der Regionalregierung von Las Palmas und die Zentralregierung in Madrid.

SPIEGEL: Und die Baugesellschaften, die internationalen Reiseveranstalter, Charterflieger, Hotelbetriebe?

MANRIQUE: Ja, natürlich, die sind mitschuldig. Aber die Übelsten sind eben all jene, die ihnen freie Hand geben. Eine Baugesellschaft kann ihre Bruchbuden oder ihre monströsen Betonklötze eben erst dann an den Strand setzen, wenn irgendein Bürgermeister die Genehmigung erteilt und vielleicht sogar das Land verkauft hat. Die Baulizenz kriegt jeder, der genug Geld mitbringt. Verstehen Sie - die Leute werden gekauft. Die Schönheit und das Kostbare der Insel interessiert da keinen mehr.“

Und am Ende des Interviews sagte er dann noch auf die Frage: 

„SPIEGEL: Und was sollte Ihrer Ansicht nach mit all den barbarischen Bauten und Siedlungen geschehen, die der Tourismus bereits geschaffen hat - mit dem Bunker in Puerto del Carmen, mit Wolkenkratzern wie in Torremolinos und Benidorm, wie an der Costa Brava, der italienischen Riviera oder der Cote d'Azur?

MANRIQUE: Wenn es nach mir geht: Dynamit, in die Luft sprengen.“

Dynamit – das wäre auch eine Option für diese bizarre Bauruine, die exemplarisch für die Entwicklung stehen kann, die Manrique in diesem Interview beschrieben hat. Aber das wird die Visionen und Utopien von César Manrique jetzt nach mehr als knapp 30 Jahren danach auch nicht wieder beleben, sie sind mit dem in den neunziger Jahren erst richtig und mit voller Wucht einsetzenden Immobilienboom vollends verschüttet worden. 

Hilft es da, zu betonen, dass Lanzarote im Vergleich zu den anderen großen kanarischen Inseln oder den Balearen noch am wenigsten mit „barbarischen Tourismus-Projekten“ verwüstet wurde, dass hier die massentouristische Erschließung einigermaßen gezügelt und auf drei Standorte konzentriert wurde, also in noch erträgliche Bahnen geführt wurde? Dass die Insel, trotz aller baulichen Auswüchse, immer noch eine Insel ist, die sich ihr spektakuläres Landschaftsbild im Ganzen erhalten konnte, die genügend Räume, Orte, Menschen bietet, in denen und mit denen man sich wohlfühlen kann und deren Einzigartigkeit man immer noch authentisch genießen kann? 

 

Mir hilft es! Wer die andern tourismusverwüsteten Inseln kennt, wird die Unterschiede sehr schnell erkennen. Gemessen daran lodert der nicht erloschene, einzigartige Charme Lanzarotes nach wie vor.

Hier der Plan der gigantischen Anlage Atlantis del Sol/ Atlantida del Sol