aus: 8. Im Wilden Westen: endloses Lavameer (S. 125 - 128)

Die Strecke war zu Beginn bequem zu laufen: ein fester, ebener Untergrund begleitete uns das erste Stück, auf dem wir besonders schöne, zum Teil blühende Bodenflechten und -gewächse auf der Erde zwischen den Steinen sehen konnten. Wie ein riesengroßer bunter Flickenteppich leuchteten die Pflanzen in zarten Farben: hellgrün, gelb, ocker, hellrot rot, dunkelrot, rosa, violett, grau. Besonders schön sahen die Kissen aus, wenn mehrere Farben in einem Gewächs zusammen aufschienen. Wir kamen zügig voran.

Dann tauchten wir in das riesige Lavameer ein. Was wir hier im Detail an Erscheinungsformen der Lavagesteine zu sehen bekamen, lässt sich kaum in Worte fassen. Die Steine, Felsen, Brocken, Kugeln, Bruchstücke, Platten, Schlacken, Geröllmassen präsentierten sich in unendlich vielen Bildern; denen keine Beschreibung gerecht werden kann. Selbst tausend Worte können das reale Bild nicht adäquat beschreiben.

Außer dem schmalen Schlackepfad, der sich durch das erstarrte Lavafeld schlängelte, war hier nichts von Menschenhand geschaffen worden. Die Gesteinsmassen lagen noch genauso da, wie sie sich vor ca. 280 Jahren als flüssige, heiße Lava aus den Feuerbergen gegen das Meer hin ergossen. Sie waren – bis auf die Wanderstrecke - weitgehend unzugänglich und wenn überhaupt nur mit großen Gefahren verbunden zu begehen. Bis auf Teile des Küstenstreifens, wo das Meer größere zusammenhängende Felsmassen und Felssäulen glattgehobelt hat, war die Lava auf ihrem Weg zum Meer in meist scharfkantigen Brocken, Steinen, Scherben, Trümmer zerbrochen und hatte sich durch immerwährenden Druck von hinten ineinander geschobenen, aufgetürmt und übereinander gewälzt. Bizarre Gesteinsformationen waren dabei entstanden, die in die Höhe ragten oder auf dem Boden oder auf anderen Platten und Brocken lagen.

Der Vielfalt der Gesteinsformationen entsprach die Vielfalt der Farben. Alle dunklen Farben waren vertreten: die unterschiedlichsten Schwarztöne, grau in verschiedenen Abstufungen, metallblau, rot, dunkelrot, grün, natürlich braun – all dies in starkem Kontrast zu dem hellblauen Himmel und der blauen See mit den weißen Schaumkronen. Mitten in der Fließbewegung abrupt erstarrte Lavaformationen präsentierten spektakuläre Bilder: zähflüssiger Brei mit vielfältigen Blasen- und Blubberformen, aufgestauchte Falten, überdimensionale wulstige Würste, Verwerfungen, die in den bunten Farben schillerten, überkochende Milch, vertrockneter Mörtel oder aus Tuben herausquellende Pasten - Exkremente von Dinosauriern müssen so ausgesehen haben.

Ähnlich faszinierend wirkten die geborstenen Kugeln auf mich, die zu Scherben zersprungen waren und ihr Innenleben preisgaben. Runde und kantige Löcher und Risse, Vorsprünge und Vertiefungen kamen zum Vorschein. Manche Teile erinnerten an Därme, Innereien, menschliche Ausscheidungen. Andere Bruchstücke hatten tiefe Schleif- und Kratzspuren, denen man ansehen konnte, welche Urgewalten hier gewirkt hatten. Magische Bilder, die beim Betrachter Phantasie freisetzen konnten. 

Die Vorstellung, dass hier unter dieser unwirtlichen Fläche einst fruchtbare Felder und kleine Ortschaften lagen, in denen ein normales Leben stattfand, ließ mich erschauern. Es war ein archaisches und grandioses, wildes und versteinertes Meer, das wir jetzt voller Ehrfurcht betraten.

Der steinige Pfad, jetzt oft nur erkennbar an den aufgetürmten Steinmännchen, verlief weitgehend eben, manchmal sorgten Bruchstücke von Platten für einen glatten Untergrund, an anderen Stellen war der Weg durch kleine und große, spitze und stumpfe, wackelige und bröselige Brocken und Bröckchen locker und rutschig. Hier und da tauchten immer wieder bizarre Felsfiguren auf, z.B. ein janusförmiger Pudelkopf, ein Löwenkopf, in die Höhe gestreckte Finger, schützende Hände, eine Faust – die Phantasie konnte genug Objekte ausmachen. 

Manchmal durchschritten wir auch kleine Senken und Täler, die sich erst zeigten, als wir kurz davor standen. Hier mussten wir dann besonders vorsichtig gehen, weil der Untergrund bisweilen lose und rutschig war. Diese Vertiefungen waren von besonderem Reiz, weil man sie erst kurz vorher sehen konnte. Beim Abstieg fühlte man sich wie in einem Trog, weil der Blick über die Fläche verstellt war. Eine besonders schöne Stelle war in kleine Buchten und Ecken zergliedert, in denen man locker hätte Versteck spielen können. 

Rechts neben uns tobte das Meer. Unaufhörlich wälzten sich die Wellen in mehreren hintereinander gestaffelten Bändern, geschmückt mit weißen Schaumkronen, an die steile Küste. Das kräftige Rauschen und Krachen, wenn sie an die Felsen donnerten, war so laut, dass sie unsere Zurufe übertönten. Spektakulär schoss die Gischt an den Felswänden und -säulen empor, manchmal in gigantischen Fontänen, die sich in nebligen Schwaden auflösten und uns mit dem Salzwasser benässten. Der steinige Pfad führte stellenweise eng an der Abbruchkante entlang, wo besondere Vorsicht angebracht war. Dort war das mächtige röhrende Gegluckse und Gegurgele zu hören, wenn das Wasser in Höhlen oder Felsspalten herumwirbelte. Wurde die Felsen von kleineren Buchten unterbrochen, so lagen diese voller abgerundeter Steine, die größeren weiter hinten, die kleineren und ganz kleinen vorne am Wasser. Beim Zurückgehen der Wellen erzeugten sie ein rauschendes Gerassel, so als ob Steine durch ein Siebbrett gerüttelt wurden.

Vor den großen Vulkanausbrüchen lag die Küste weiter zurück: Die herausgeschleuderten Lavamassen ergossen sich mit großem Gebrodel und Gezische ins Meer und vergrößerten die Landmenge. Jetzt holte sich das Meer seinen Anteil wieder zurück, dachte ich, indem es zunächst die spitzen und scharfen Kanten und Formen abrieb und Stück für Stück die Felsen abtrug. Es ging hier also mit gerechten Dingen zu, stellte ich zufrieden fest.

---

weitere Leseprobe auf:

http://www.amazon.de/Unterwegs-auf-Lanzarote-Begegnungen-faszinierenden/dp/3732285898/ref=tmm_pap_title_0